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Experteninterview: "Care Leaver" aus Pflegefamilien und Wohnheimen begleiten

Plötzlich auf eigenen Beinen stehen

Die Vorsitzende des Careleaver e.V. in Freiburg, Dr. Melanie Overbeck, kennt die speziellen Probleme, die Care Leaver beim Übergang in ein selbstständiges Leben zu bewältigen haben, nur zu gut - auch aus eigener Erfahrung. Wie der Übergang in den Beruf trotz aller Probleme gelingen kann, erklärt sie im Interview.

Porträtfoto von Dr. Melanie Overbeck

Foto: Privat

Dr. Melanie Overbeck:

Vorsitzende Careleaver e.V.:

planet-beruf.de: Frau Dr. Overbeck, vielleicht können Sie zunächst einmal zur Begriffsklärung beitragen: Wen bezeichnet man als Care Leaver?

Dr. Melanie Overbeck: Care Leaver sind Menschen, die in der stationären Jugendhilfe großgeworden sind, also sowohl in Einrichtungen oder Wohngruppen der Kinder- und Jugendhilfe als auch in Pflegefamilien. Sobald sie diese Einrichtungen verlassen müssen, gelten sie als Care Leaver - davor waren sie Care-Receiver. Auffällig ist, dass die Bildungs- und Aufstiegschancen von jungen Menschen aus der stationären Jugendhilfe sehr schlecht sind - im Gegensatz zu gleichaltrigen Jugendlichen, die zu Hause aufwachsen.

planet-beruf.de: Welche spezifischen Probleme haben diese Jugendlichen beim Übergang von der Jugendhilfe ins Erwachsenenleben?

Dr. Melanie Overbeck: Das eine ist die Tatsache, dass - entgegen den gesetzlichen Regelungen - die Jugendhilfe immer noch sehr früh, mit 18 oder 19 Jahren, beendet wird. Und das fällt dann oft mit dem Übergang Schule - Beruf zusammen. Mit dem Ende der Jugendhilfe endet nicht nur die finanzielle Unterstützung, sondern auch das gesamte soziale Netz fällt weg. Während andere Jugendliche noch lange von ihren Eltern unterstützt werden, müssen sich Care Leaver mitten in dieser sensiblen Übergangsphase von der Schule in den Beruf gleichzeitig um ihre Existenzsicherung kümmern: Sie müssen eine Wohnung finden, einen Umzug organisieren und sich selbst um den Lebensunterhalt kümmern.
Der zweite Punkt ist, dass für diese Menschen - egal in welchem Alter sie aus der Familie genommen werden - die rechtliche Beziehung zu den leiblichen Eltern bestehen bleibt. Das hat zur Folge, dass sie immer wieder an die Eltern gekoppelt sind, zum Beispiel wenn sie Leistungen beantragen. Diese Situation verzögert vieles. Dazu kommt, dass das Thema Bildung, Ausbildung, Weiterbildung leider in den Hilfeplangesprächen in den Jugendhilfeeinrichtungen keine so große Rolle spielt. Hier wird eher der Fokus auf finanzielle Absicherung gelegt. Oft heißt es dann einfach: "Such dir einen Job!"

planet-beruf.de: Welche Art von Unterstützung brauchen Care Leaver während dieser Zeit?

Dr. Melanie Overbeck: Was diese Jugendlichen eigentlich brauchen, ist eine verlässliche Bezugsperson, an die sie sich wenden können. Das muss gar nicht unbedingt ein Betreuer sein, das kann auch ein fester Ansprechpartner in einer Behörde sein. Was den jungen Menschen fehlt, ist zunächst das Wissen, dass sie noch viele Möglichkeiten haben. Andere Jugendliche, die vielleicht schon eine Idee haben, was sie machen wollen, wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen, um dieses Ziel zu erreichen. Die Erfahrung zeigt auch, dass viele, die in der Jugendhilfe aufgewachsen sind, sich erst mit Anfang 20 mit Fragen beschäftigen wie: Kann ich einen anderen oder überhaupt einen Schulabschluss machen? Kann ich doch noch eine Ausbildung machen? Solche Jugendliche brauchen auch zu diesem späteren Zeitpunkt jemanden, der ihnen Möglichkeiten aufzeigt und Informationen gibt.

"Jemand, der in einer blanken Wohnung lebt und sich keine Möbel leisten kann, kümmert sich eben nicht mehr um die Schule, sondern darum, wie der Kühlschrank voll wird."

(Dr. Melanie Overbeck)

planet-beruf.de: Gibt es viele Care Leaver ohne Schulabschluss?

Dr. Melanie Overbeck: Ja, leider. Viele verlassen die Jugendhilfe ganz ohne Abschluss oder nur mit einem geringeren Abschluss. Viele Care Leaver holen erst nach Beendigung der Jugendhilfe noch Abschlüsse auf dem zweiten Bildungsweg nach. Auch ich habe zunächst den Hauptschulabschluss gemacht und erst später das Abitur auf der Abendschule nachgeholt. Jemand, der in einer blanken Wohnung lebt und sich keine Möbel leisten kann, kümmert sich eben nicht mehr um die Schule, sondern darum, wie der Kühlschrank voll wird.
Wir bieten Care Leavern, die sich in Notfallsituationen befinden, einen Notfallfonds zur Unterstützung an. Manchmal geht es nur um so banale Dinge wie ein Busticket, das man sich nicht leisten kann, um zur Ausbildung oder zur Schule zu kommen.

planet-beruf.de: Wie hilft Ihr Verein den Jugendlichen beim Übergang?

Dr. Melanie Overbeck:  Der Careleaver e.V. bietet jugendlichen Care Leavern viele Angebote zum Thema Ausbildung und Beruf. Wir haben zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft Bildungschancen, an die sich Care Leaver wenden können, wenn sie Fragen zu Ausbildung oder Studium haben. Nächstes Jahr starten auch die sogenannten Bildungsbuddies. Dabei wird jedem jungen Care Leaver ein erfahrener Care Leaver zur Seite gestellt. Diese oder dieser unterstützt dann bei den Themen Bildung und Bildungsorientierung, kann aber später auch den Übergang in den Beruf begleiten. 80 Prozent unserer Vereinsmitglieder sind Care Leaver. Sie können ganz anders auf die Jugendlichen zugehen. Wir bieten auch immer wieder Workshops zu den Themen: Welche Möglichkeiten habe ich? In welche Richtung kann ich gehen? Wo bekomme ich Informationen? an. Auf der Vereinshomepage finden Care Leaver Informationen zu allen relevanten Themen - natürlich auch zu Ausbildungsfragen. 

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